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Wer mir bereits auf Twitter folgt weiß, dass ich in Berlin regelmäßig die Creative Mornings besuche, die von Fontshop ausgerichtet werden. Einmal im Monat hat man hier die Gelegenheit für umme einen 20-Minuten-Vortrag zu hören, der im weitesten Sinne mit Design zu tun hat, und noch dazu gibt’s exzellenten Kaffee und frische Croissants.

Den heutigen CM Berlin musste ich leider sausen lassen, denn als er heute morgen um 8:30 Uhr begann bin ich gerade in Vancouver gelandet. Aber da die CMs ja eine internationale Angelegenheit sind, konnte ich das Ganze heute sofort hier nachholen. Also, erster Anlaufpunkt Vancouver: Lola Frost at Creative Mornings Vancouver.

Als wir ankamen waren die Kanadier bereits alle am Start, wir haben gerade noch 2 Plätze in der letzten Reihe bekommen, der Laden war voll! Mark Busse übernimmt hier, was ich normalerweise in Berlin von Jürgen Siebert gewohnt bin. Wie erwartet sind die Kanadier wunderbare Gastgeber und Mark hat sehr humorvoll in den Talk geleitet.

Lola Frost ist Burlesque Tänzerin. Eine umwerfende Frau, keine erwartete Striptease Puppe, sondern ein sehr eigener Charakter mit ganz indivuduellem Stil und noch dazu unfassbar charmant. Und sie hat heute mit uns über Sex gesprochen und über die Magie der sexuellen Energie. Bereits von klein auf wurde sie von ihrer ungewöhnlich jungen Mutter sehr offen und aufgeklärt erzogen. Schon früh war ihr klar, dass sie Tänzerin werden will und nach ein paar Umwegen übers Gogo Dancing fand sie letztenlich ihre Berufung im Burlesque-Tanz. Sie sieht sich dabei selbst als Künstlerin, die ihren Körper als Medium verwendet um ihren eigenen persönlichen Erfahrungen Ausdruck zu geben. Für sie ist Burlesque-Tanzen ein Teil ihrer Persönlichkeit, sie schlüpft nicht in Rollen, sondern zeigt darin einen Teil ihrer selbst.

Ganz ehrlich und offen sprach sie über Vorzüge und Nachteile ihres Berufes, als auch über ihre eigenen Einstellungen. Über die vielen Unsicherheiten, denen man selbst als Erwachsener noch immer wieder gegenübersteht, wenn es um die Wahrnehmung des eigenen Körpers geht und auch darüber was uns in der heutigen Gesellschaft als sexy verkauft wird, wie oft uns suggeriert wird, dass unser Leben nicht so sexy ist, wie das von dem Päarchen auf dem Fashion Poster, weil wir leider nicht die selben geilen Klamotten tragen und nicht ganz so skinny daher kommen und darüber was es eigentlich bedeutet sexy zu sein und wie vielschichtig es sein kann.

Während des ganzen Vortrages lief mir der Ausdruck „Sexual Identity“ durch den Kopf. Das ganze hört sich jetzt nämlich so an, als hätte es gar nichts mit Design zu tun gehabt, aber um ehrlich zu sein finde ich die Vorträge immer am spannendsten, die auf den ersten Blick mit meinem eigenen Arbeitsfeld überhaupt nichts zu tun haben. Denn was im Grafikdesign gerade Trend ist und was nicht und all die Marketingstrategien und whatever, das kenne ich ja, das kann ich ja bereits, darüber erkundige ich mich ja schon selbstständig Tag für Tag – da erfahre ich nur selten wirklich Neues und schöpfe meist eher aus den motivierenden Schlusssätzen, als vom Inhalt selbst. Bei einem Vortrag wie heute allerdings kann ich für mich selbst Verbindungen und Relationen zu meinem eigenen Beruf herstellen und das empfinde ich oft als viel wertvoller. Eine Burlesque-Tänzerin steht nämlich vor ähnlichen Problemen wie ich: Ist mein Kunde mit meiner Arbeit zufrieden? Was bedeutet Ästhetik, ab wann spricht man über Geschmack und wie geht man damit um, wenn sich dieser unterscheidet. Wie sehr bezieht man dann Kritik ursprünglich bezogen auf die Arbeit auch auf die eigene Persönlichkeit, weil diese ja immer ein Stück weit in der eigenen kreativen Arbeit mit drin steckt. Und ja, ab wann wird Gestaltung eigentlich attraktiv? Denn wenn wir ehrlich sind, darum geht es doch in unserem Job. Ist es das offensichtliche Bild, das jeder im Kopf hat, wenn er über eine Thematik nachdenkt, oder ist es die kleine individuelle Raffinesse, die Identitäten stärken kann? Und kann man das überhaupt pauschalisieren?

Der Vortrag hat also viel Diskussionsstoff und einige Fragen aufgeworfen. Das Team vom CM Vancouver hat dafür eine ganz eigene Art, damit umzugehen. Nach jedem Vortrag werden die Zuschauer grob in kleine Gruppen unterteilt und sollen sich dann im Anschluss des Vortrags über das gerade Gesehene unterhalten (!!!). Nein, so ist das in Deutschland nicht. Ich war etwas überfordert. Früh morgens, nach 2 Tagen Reise und unendlichen Flugverzögerungen dank Streiks und Unwettern sollte ich nun mit wildfremden Menschen außerhalb meiner Muttersprache über einen Sex-Vortrag sprechen. Meine Begleitung und ich sahen uns schockiert an, waren drauf und dran die Örtlichkeiten heimlich zu verlassen und über die letzten 30 Sekunden den Rest des Tages nicht mehr zu sprechen. Aber gleich am ersten Tag hier in einer für mich völlig neuen Welt einen großen Schritt aus meiner Komfortzone zu wagen hat sich gelohnt. Zwei freundliche Sätze unserer neuen Gesprächspartner (die Kanadier sind einfach unglaublich freundlich)d, eine kurze Vorstellungsrunde in der Gruppe und wir alles wussten: Das hat sich gelohnt. Am Ende kamen meine Visitenkarten zum ersten Mal offiziell zum Einsatz und wir hatten eine sehr nette Gruppe kanadischer Design-Studenten kennengelernt, mit denen wir nach dem letzten offiziellen Frageteil dann noch ein wenig weitergeplaudert haben und wir verließen den eh schon hervorragenden Talk dadurch mit viel mehr, als wir morgens ursprünglich erwartet hatten.

Eine Idee, die ich sicherlich mal in den CM Berlin einbringen werde. In Amerika hat Netzwerken einfach einen ganz anderen Stellenwert und da können wir reservierten Deutschen, die sich meist nicht mal trauen am Ende die Fragerunde zu nutzen und meist mehr als einen Animateur benötigen, mal wirklich eine Scheibe von abschneiden.

In dem Vortrag wurde übrigens auch gestrippt, also unbedingt ansehen, in ein paar Tagen sollte das Video dazu auf der CM Vancouver Seite online gehen.

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